Holger Franz – der ermordete Kozmopolit
Holger Franz – ein Mann der Extreme. Schon immer liebte er es, zu reisen. Als er seinen 12jährigen Hund einschläfern lassen musste, war Holger gerade einmal 32 Jahre alt. Und er beschloss, die Welt zu erobern – einen Teil auf dem Motorrad, den anderen Teil auf dem Fahrrad.
Die Route
Am 3. Mai 2014 begann sein Abenteuer auf seinem selbst zusammengebauten Rad, ein Surly Rahmen mit einem Brooks B17 Select Sattel. Seine Reise führte ihn von der Tschechei nach Polen, weiter in die Slowakei und nach Ungarn, Rumänien, Bulgarien und in den Kosovo, weiter nach Montenegro, Albanien, Griechenland, in die Türkei, nach Armenien, in den Iran, weiter nach Usbekistan, Kasachstan, Tadschikistan, Kyrgyzstan, Turkmenistan, Kasachstan, Afghanistan und dann nach China, Laos, Thailand, Myanmar, Kambodscha. Vietnam, Alaska, Kanada, USA, und schließlich nach Mexiko. Seine Reise unterbrach er nur zweimal. Einmal im Februar 2015, als sein Vater starb, und noch einmal Anfang 2017. Als er Mexiko erreichte, hatte er bereits in 48 Monaten mehr als 61.000 Kilometer mit dem Fahrrad zurückgelegt und 34 Länder besucht. Er weiß nicht, dass Mexiko das letzte Land sein wird, das er in seinem Leben sehen wird.
Das letzte Lebenszeichen
Sein Reisetagebuch endet mitten in Mexiko. Sein letzter Instagram-Beitrag datiert auf den 20. April 2018. An diesem Tag wollte er, wohl zusammen mit dem aus Polen stammenden Krzysztof Chmielewskiy, von San Cristóbal auf der Landstraße 199 nach Palenque, dem Ausgrabungsort einer Maya-Stadt, fahren. Dort kamen sie nie an.
Eine Reisebekanntschaft von Holger, der Amerikaner Michael Meurer, meldet Holger am 25. April 2018 als vermisst. Holger hätte am 23. April bei einem Bekannten von Michael in Ciudad del Carmen sein sollen, tauchte jedoch nicht auf. Holgers Familie wird von den Behörden nicht über sein Verschwinden informiert. Am 28. April erhält Holgers Bruder, Rainer Hagenbusch, eine Nachricht auf Facebook von zwei deutschen Radfahrern, die Holger auf seiner Reise kennengelernt hatte. Sie würden Holger vermissen, er sei einfach verschwunden.
Eine Leiche wird gefunden
Am 26. April wird an der Landstraße 199 bei Kilometer 158, auf Höhe der Ortschaft Ocosingo an einem Abhang, die Leiche von Krzysztof gefunden. Auf einer Mülldeponie. Seine persönlichen Unterlagen (Pass, Visum, Brieftasche etc.) waren verschwunden. Sein Rücken wies Brandspuren auf. Einige Körperteile fehlten; der Kopf und ein Fuß wurden abgetrennt, saubere Schnitte wie von einer Machete. Das Herz entfernt. Die Handschrift mexikanischer Drogenkartelle.
Die Leiche wurde sorgfältig drapiert – versteckt in einem Busch, auf Holgers Fahrrad liegend. Die GoPro, eine Kamera, die Krzysztof auf der Reise bei sich hatte, ist spurlos verschwunden. Daneben einer von Holgers Schuhen. Krzysztofs Schuhe fehlten. Trotz dieser Situation behauptet die Staatsanwaltschaft zunächst, Krzysztof sei durch einen Unfall um‘s Leben gekommen; es gebe keine Anzeichen für ein Gewaltverbrechen. Der Schädel sei bei dem Sturz abgetrennt, der Fuß vermutlich von einem Puma gefressen worden. Die Verbrennungen kämen von der Sonne während der Zeit, die der Körper im Freien lag. Dies sei – trotz Bekleidung – normal. Zu der Frage, warum der Puma lieber nur einen Fuß samt Knochen gefressen habe anstatt der Eingeweide, sagte der Staatsanwalt, Raubtiere seien in der Wahl ihrer Nahrung sehr selektiv; er habe kein Recht, ihre kulinarische Wahl in Frage zu stellen, so absurd sie auch ist.
Eine zweite Leiche
Am 4. Mai wird schließlich wird das Skelett von dem 43jährigen Holger gefunden, 200 Meter unterhalb der Stelle, an der Krzysztof Tage zuvor gefunden worden war. Sein Schädel wies zwei Einschusslöcher auf. Identifiziert werden konnte er nur noch anhand von Zahnunterlagen, die sein Bruder aus Deutschland nach Mexiko brachte. Auch seine GoPro-Kamera fehlt. Es wird nun wegen Mordes ermittelt. Der Staatsanwalt, der offensichtlich gelogen hatte, wird versetzt.
Hintergründe
Die Gründe für die Morde sind unklar. Klar ist nur, dass dies bei weitem nicht das erste Verbrechen ist, das in dieser Gegend geschah. Die Gegend gilt als enorm gefährlich, da sie sie sich in paramilitärischer Hand befindet. Allein auf der Müllkippe bei Kilometer 158 wurden innerhalb von zwei Jahren fünf weitere Leichen gefunden. Für den Mord an Krzysztof und Holger gibt es zwar Verdächtige – doch kein Polizist ist bereit, diese festzunehmen. Es ist zu gefährlich vor Ort, im Grunde an der kompletten Landstraße 199.
Dass die Morde aufgeklärt werden, scheint vor diesem Hintergrund mehr als unwahrscheinlich. Umso wichtiger war es für Holgers Familie, ihn und sein Fahrrad nach Hause holen zu können. Am 4. August 2018 endlich konnte die Trauerfeier in der Heimat von Holger, dem hessischen Freigericht, stattfinden. Einige seiner Reisebekanntschaften aus Mexiko sind angereist. Auch Michael Meurer, derjenige, der Holger als vermisst gemeldet hatte, ist extra aus den USA gekommen. Sogar die Schwester des ebenfalls ermordeten Krysztof ist da.
Die Beerdigung
Holger war glücklich auf seinem Fahrrad. Das Fahrrad darf daher auch während der Trauerfeier nicht fehlen. Am Ende der Feier schiebt ein enger Freund Holgers das Fahrrad samt seiner Asche zum Grab. So trat er auch noch seine allerletzte Reise auf seinem Fahrrad an.
Die Morde sind bis heute unaufgeklärt.
Geschrieben von Adrenalyn
Autorin. Rechtsanwältin. Apfel-affin. Katzennärrin. Nervtötend.Corona-Make-up des Tages – 11.05.2020
Apples Magic Keyboard wurde geröntgt – Details